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Die weiße Perle des Frühlings

von Margarete Schebesch

 

Als das Raumschiff am wolkenlosen Frühlingshimmel auftauchte, war der Schnee gerade geschmolzen. Die Bauern begannen, ihre Felder zu pflügen, die Vögel waren aus wärmeren Gefilden zurückgekehrt und bauten ihre Nester in den kahlen Bäumen. Die Natur erwachte.

Die Vögel waren auch die Ersten, die das Raumschiff am Himmel bemerkten. Dieses riesige, weiße, kugelförmige Ding, das sich da in ihr Revier drängte, war ihnen nicht geheuer. Sie umkreisten es zunächst verwirrt und neugierig, aber dann erkannten sie, dass keine Gefahr von dem Gebilde ausging, und beruhigten sich.

Weil das Raumschiff so tief über dem Boden schwebte, war es in dem hügeligen Gelände nicht sehr weit zu sehen. Die Menschen in dem kleinen Dorf sahen es jedoch und wunderten sich. Sie überlegten, ob sie jemanden verständigen sollten, jemanden von der Raumfahrtbehörde oder von der Regierung vielleicht. Aber dann beschlossen sie, dass es ihr Raumschiff sei, weil es über ihrem Dorf erschienen war, und dass es niemanden sonst etwas angehe. Die weiße Kugel jedoch hing still am Himmel und tat gar nichts. Zumindest nichts, was die Menschen im Dorf beobachten konnten.

Aber im Inneren ging es sehr geschäftig zu: Man lief hin und her, Messinstrumente wurden justiert, Daten wurden aufgerufen und gespeichert, und alle waren aufgeregt. Der Direktor war ungeduldig, und die Mitglieder der Teams arbeiteten gehetzt. Da das Unglück mit dem defekten Reflexionsschild nun mal passiert war, musste der Schaden schnellstmöglich eingegrenzt werden. Es hatte keinen Sinn mehr, das Schiff zu entfernen, weil die Dorfbewohner es bereits gesehen hatten. Man konnte sie vielleicht alle in Tiefschlaf versetzen und ihnen die Erinnerung an das Raumschiff nehmen, aber da war diese wunderbare Möglichkeit, die Reaktionen der Bewohner zu erforschen, und die wollte sich der Direktor nicht entgehen lassen.

Er saß zusammen mit den Teamleitern im Konferenzraum und erörterte mit ihnen die Maßnahmen, die es als Nächstes zu treffen galt.
»Was haben wir bis jetzt?«, fragte er in die Runde.
»Nun ja«, sagte einer der Teamleiter, »die Vögel haben sich beruhigt, und die Menschen haben immer noch niemanden angerufen. Wahrscheinlich würde ihnen ohnehin niemand glauben, aber wenn jemand von dem Dorf erfährt, könnte das Projekt dadurch gefährdet werden.«
»Und was schlagen Sie vor?«, fragte der Direktor weiter.
Der nächste Teamleiter wurde verlegen. »Hm, wir könnten jemanden hinunterschicken, der mit den Menschen spricht und sie beruhigt.«
»Das ist zu gefährlich«, schüttelte der Direktor den Kopf. »Wenn sie dann doch jemanden verständigen, wird es Nachforschungen geben. Wie sehen die letzten Daten aus?«
»Es gibt noch keine Zusammenfassung«, kam die Antwort. »Wir arbeiten noch daran«.
»Dann treffen wir uns am Nachmittag wieder«, erklärte der Direktor und erhob sich.

Es war eine peinliche Angelegenheit für ihn. Nicht nur, dass er die Existenz dieses Dorfes erklären müsste, wenn jemand von der Regierung davon erfuhr. Sie würden es ihm auf der Stelle wegnehmen und das ganze Projekt gefährden. Der Teamleiter hatte recht. Vor allem die Gegner der Naturbewegung würden alles daran setzen, das Projekt sofort auf Eis zu legen. Aber so weit würde es nicht kommen, entschied er. Eher würde er doch die Tiefschlaflösung anwenden, gleich am Nachmittag, wenn er sich wieder mit den Teamleitern traf.

Als es so weit war, hatte er alles vorbereitet. Er hörte sich die Berichte an, die allesamt, wie er erwartet hatte, nicht besonders spannend waren. Die Dorfbewohner kümmerten sich nicht weiter um das Raumschiff, sondern gingen wieder ihrer Arbeit nach.

Als der Direktor alle Teamleiter gehört hatte, drückte er den Knopf unter seinem Tisch und sie fielen alle zusammen in tiefen Schlaf. Bis sie erwachten, würde er das Raumschiff wieder in die Umlaufbahn gesteuert haben, und sie könnten von vorn anfangen. Seine Leute würden sich an nichts erinnern.

Im Dorf erinnerte man sich noch einige Zeit an die seltsame Erscheinung. Weil sie aber so friedlich war und genauso geräuschlos verschwand, wie sie aufgetaucht war, hatten die Menschen sie doch irgendwann vergessen. Nur in den Märchen und Legenden der Großmütter rankten sich geheimnisvolle Geschehnisse um eine große Kugel am Himmel, welche sie die weiße Perle des Frühlings nannten.

 

Diese Geschichte entstand als Text zu einem vorgegebenen Titel in einer Schreibwerkstatt.