Adlerkind
von Margarete Schebesch
Hoch auf dem Felsen steh' ich oben
Und schaue über weites Land,
Mit dem sich hier mein Traum verwoben
Und wo mein größter Wunsch entstand:
Zu fliegen mit den freien Vögeln
Durch ihren grenzenlosen Raum,
Auf heißen Wüstenwinden segeln,
Dem Adler gleich – das ist mein Traum!
Ich seh' ihn durch den Himmel gleiten
Und rufe ihn voll Sehnsucht an,
Er soll mich auf dem Flug begleiten,
Und er fliegt stolz zu mir heran.
Komm, nimm mich mit auf deinen Schwingen,
Mein wilder Freund mit scharfem Blick!
Du sollst mich zu den Wolken bringen,
Einmal nach oben und zurück.
Und während ich dann mit ihm fliege,
Seh’ ich mich auf dem Felsen stehen,
Und während ich im Wind mich wiege,
Kann ich den Adler kommen sehen:
Wie er zu mir fliegt und mich mitnimmt,
Auf seinem Flug nach oben steigt
Und segelt mit dem heißen Aufwind
Und mir das Land von oben zeigt.
Dann bringt er wieder mich hinunter
Zu meinem roten Felsen dort,
Und jetzt verstehe ich das Wunder,
Das mich verband mit diesem Ort:
Denn jetzt, da ich den Flug genossen,
Finde ich endlich meine Ruh’,
Zu tun, was ich schon längst beschlossen,
Und laufe auf den Abgrund zu!
Und fühle dunkle Federn sprießen,
Sie drängen sich mit Macht heraus
Aus frischen Wunden, die sich schließen,
Und Flügel bilden sich daraus!
Schon stehe ich am steilen Rande
Und habe längst die Furcht besiegt,
Dann stoße ich mich ab vom Lande –
Und fliege, wie der Adler fliegt!
(2003)